Ein Beitrag von Noa Zenger

 

Abb. 1: Pfrn. Noa Zenger, Lassalle Haus: Kontemplation und Fasten, Geistliche Begleitung.

Fasten und Stille gehören natürlicherweise zusammen      Nicht selten verspürt wer fastet die Sehnsucht nach Stille – ein Ausdruck davon, vom Vielen zum Wenigen zu kommen. Der Körper trägt diese Weisheit in sich. Er schaltet in den ersten drei Fastentagen völlig natürlich von der äußeren Ernährung auf die innere um. Dieser psycho-somatische Vorgang hat zur Folge, dass der Fastende aus dem Außer-sich-Sein zur Mitte seiner selbst geführt wird und zur Ruhe kommt. Mit anderen Worten: Die Umschaltung erleichtert die Einkehr und Selbstfindung. Das Fasten begünstigt also die Erfahrung von Stille und umgekehrt unterstützt die Stille die Wirkung des Fastens. Beide sind aufeinander bezogen, wirken aufeinander vertiefend und eröffnen einen Raum der Heilung.

Im Konzept des Lassalle-Fastens ist das Schweigen elementar, das heißt die Lassalle-Fastenkurse sind Schweigeretraits. Einige Teilnehmende kommen gerade deshalb zum Fasten in das Lassalle-Haus. Viele von ihnen leben in großer Umtriebigkeit und einem lauten Alltag und geben in einer ersten Kennenlernrunde ihrer Sehnsucht nach Stille Ausdruck. Andere haben mit dem Schweigen in einer Gruppe keine Erfahrung und drücken Skepsis aus. Meine Erfahrung ist oft, dass die Teilnehmenden mit dem bewussten Einlassen auf das Fasten intuitiv das Schweigen und die Stille entdecken. Im Wesen des Fastens liegt die Bewegung hin zur Stille. Allerdings lässt sich Stille nicht verordnen. Zwar werden in einem Fastenkurs von der Leitung her das Schweigen eingeführt und Regeln bekannt gegeben, wie das Schweigen in der Gruppe eingehalten werden soll. Doch wie das Fasten auch nur dann wohltuend wirkt, wenn die Fasterin sich freiwillig dazu entscheidet, entdeckt auch nur diejenige die heilende Kraft der Stille, die bewusst in das Schweigen einwilligt.

Abb. 2: Harmonikale Architektur im Lassalle Haus

Ruhen und Schweigen – Wege in die Stille   Ruhen ist eine räumliche und körperliche Erfahrung. Es gibt eine Neigung zur Ruhe. Und es gibt eine Neigung zur Bewegung. Beide Pole gehören zusammen, bedingen einander, damit Leben sein kann. So gehören beide Pole auch zum Menschen. Heute jedoch bestimmt meist mehr Unruhe und Angetriebensein den Alltag. 

Wie Raum vom Leitungsteam gestaltet und gehalten wird, ist entscheidend, damit eine Atmosphäre der Stille entsteht. Dafür sorgen ein klar strukturierter Tagesablauf mit täglich denselben Elementen, eine reizarme Ästhetik und eine auf das Wesentliche reduzierte Einrichtung der Räume. Ein schlichter Leitungsstil gehört dazu: nur notwendige Anweisungen, keine Geschwätzigkeit, Zurückhaltung in der Menge der inhaltlichen Impulse und Verzicht auf Animation sowie Unterhaltung. Drei Meditationszeiten pro Tag mit gemeinsamem Sitzen in der Stille sind in besonderer Weise Einübung in die Ruhe. Der Körper hilft dem unruhigen Geist in die Sammlung zu kommen. Denn es ist der Geist, der Kreise zieht und in Vergangenem hängen bleibt oder sich um Zukünftiges sorgt; der Körper aber kann nicht anders als gegenwärtig sein. Er lässt sich nieder auf der Meditationsmatte, dem Kissen, lässt das Gewicht sinken und bleibt ohne Bewegung. Die Übung ist, einzig das Dasein wahrzunehmen, das Sitzen, der Atem in seinem ganz eigenen Rhythmus. Das leibhaftige Ruhen führt mit der Zeit zur inneren Stille, auch wenn gerade Ungeübte zu Beginn Geduld brauchen.

Die französische Philosophin Simone Weil beschreibt die Stille als eine Art inneren Raum, in den wir eintreten können. Das Ruhen hilft, diesen Raum kennenzulernen und das Schweigen ist der Pfad, der hinführt. Wie bereits gesagt, hat Schweigen im tieferen Sinne mit Entscheidung zu tun. Ein Kleinkind kann nicht schweigen. Auch ein Tier kann nicht schweigen. Kleinkinder und Tiere sind ruhig oder still. Schweigen kann nur der Mensch, der sich dazu entscheidet. Schweigen im wesentlichen Sinn geschieht immer aus Freiheit und solches Schweigen ist wiederum immer mehr als nur nicht reden. Zu einem Schweige-Retreat gehört auch der Verzicht auf unnötige Verzettelung und Zerstreuung wie etwa der Konsum von Internet, sozialen Medien oder das übermäßige Lesen. Durch das Weniger werden die Sinne ganz wach und die Entdeckung ist, dass sich im Schweigen eine Präsenz verbirgt. Der Mensch wird ein Hörender und Empfangender.

Stille und Heilung       Die ruhige Atmosphäre in der Gruppe überträgt sich auf den Einzelnen und unterstützt ihn im je eigenen inneren Prozess. Weiter begünstigt sie ein achtsames Wahrnehmen der Teilnehmenden untereinander. Jeweils abends kommt die Gruppe zu einem Austausch zusammen. Diese Erzählrunde, an welcher einmal am Tag etwas ausgesprochen werden kann, ist ein wichtiges Gefäß für heilsame Prozesse. Indem sich die Teilnehmenden mit-teilen teilen sie etwas vom eigenen Erleben, lassen teil-haben. Die eigene Welt wird aufgebrochen, hin auf eine gemeinsame. Im kontemplativen Zuhören der Gruppe wird das Erzählte gewürdigt und ist aufgehoben.

Fasten und Schweigen sind gemeinsam eine Hilfe, mit sich selbst tiefer in Kontakt zu kommen und Verdrängtes zu erkennen wie etwa Trauer, Verletzungen, Unversöhntes, anstehende Entscheidungen. Mitunter kann der Umgang mit Gefühlen, Erinnerungen, Empfindungen verschiedenster Art eine echte Herausforderung für die Fastenden darstellen. Wenn jedoch die Bereitschaft da ist, anzunehmen, was sich zeigt und damit einen Weg zu gehen sind Fasten und Stille gemeinsam in besonderer Weise heilsam. Oft braucht es keinerlei andere Bearbeitung. Vielmehr genügt das Sein damit, das achtsame Hinspüren, Wahrnehmen, Wirkenlassen. Es ist da ein Eintauchen und Einschwingen in ein kollektives verbindendes Feld, das heilsam wirkt und über die Gruppe hinausweist., das heilsam wirkt und über die Gruppe hinaus verbindet.

Abb. 3: Zendo im Lassalle Haus – Meditationsraum für die Zen-Meditation

Stille und Transformation      Der Mensch sucht Halt und Sinn in Dingen sowie Äußerlichkeiten. Wer eine Zeit lang verzichtet stellt fest, dass etwas Tieferes trägt. Das Schweigen intensiviert diesen Prozess, konfrontiert stärker mit einer scheinbaren Leere. Wenn das Gefühl von Leere zugelassen werden kann, steigt die Fülle auf, die im ganz wesentlichen Sinne nährt. Sensibilität und Durchlässigkeit entstehen für die transzendente Wirklichkeit, woraus dem Menschen das Leben zuwächst. Durch Impulse zu spirituellen und öko-sozialen Themen erfahren die Fastenden Stärkung und Herausforderung. Der Blick öffnet sich nicht nur für eine tiefere Wahrnehmung für die wunderbaren körperlichen und seelischen Zusammenhänge, vielmehr auch für eine Sinngebung, ein Verbundensein mit Menschen, Tieren, Pflanzen. Oft beobachte ich, dass die Fastenden in hohem Maße berührbar sind und deshalb bereit werden, ihren Lebensstil nicht nur auf die eigene Gesundheit hin zu reflektieren, vielmehr auch in Bezug auf ein verantwortungsvolles Handeln in Gesellschaft und Umwelt. Angesichts globaler Gefährdungen und Überforderung durch Stress und Reizüberflutung besteht die Gefahr, dass sich Menschen in die private Innerlichkeit flüchten und sich nicht selten von Passivität lähmen lassen: „Da kann man sowieso nichts tun!“ In der Offenheit und Wachheit des Fastens und Schweigens können Menschen herausgeführt werden aus Passivität und Resignation. Sie können den Vorteil gütig zu sein entdecken, sowie ihren eigenen, möglichen Spielraum des Handelns zum Wohl allen Lebens ausloten.

Das Schweigen im wesentlichen Sinne verstärkt die Fastenwirkung und vertieft die drei Fastendimensionen: die gesundheitliche, die spirituelle und die öko-soziale. Wer das Weniger zulassen kann, entwickelt Hunger und Durst in anderer Weise, nämlich nach Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Die Wahrnehmung wird geschärft und das Bewusstsein wächst für das „schlichte Genug“. Was Seele und Leib guttut, ist gleichzeitig auch ein Heilmittel für die Welt.

 

 

Weitere Informationen

Lassalle Haus

www.lassalle-haus.org

Sacred Space – Zur Mystik sakraler Räume:

Die harmonikale Architektur wurde von Zürcher Architekt André M. Studer konzipiert und realisiert – mehr Informationen zur Architektur und zum Bau des Lassalle-Hauses finden Sie auf der Webseite.

Alle Fotos: 

Lassalle Haus

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